Foto: Unsplash, Tina Rataj-Berard
22.10.2020: Newsrooms, Central Communication Hubs, Strategieboards - all das ist seit der Pandemie der geschmolzene Schnee von vorgestern. Vom Wahlkampfmanagement, über Redaktionssitzungen bis hin zur Verbandskommunikation mussten sich alle umstellen. Es geht nur schwer in die alten neuen Strukturen zurück. Schlimmer noch: Kommunikationsstrategien, Content-Strategien und Redaktions-Strategien scheinen immer weniger zu greifen. Das hat Gründe.
Mit der Pandemie haben sich die kommunikativen Strukturen geändert. Klar, die Planung von Krisenkommunikation ist nun besonders wichtig – „was machen wir, wenn der Betrieb dicht macht?“. Auch die interne Kommunikation ist stärker in den Fokus gerückt. Logisch, Verbandsmitglieder, Stakeholder und Mitarbeiter müssen wissen, wie es mit dem Betrieb weiter geht und was sich in der Branche so tut. Nur denken immer weniger mit, dass die Kommunikationsbranche an sich gerade eine langwierige Revolution durch macht – mit ungewissem Ausgang.
Während die meisten von uns wirklich noch glauben, dass die Abkehr vom Papier, bargeldloses Zahlen und Videokonferenzen die Kür der Digitalisierung sind, fließen unsere Daten munter weiter in den Äther des Internets ab, ohne dass wir wissen, was damit passiert. Für die Sozialen Medien sind wir selbst das Produkt, nicht umgekehrt. Wir befüllen unsere standardisierten Profile so individuell wie möglich - wie Millionen anderer Nutzer auch. Unsere Profile sind das Massenprodukt: Wir konsumieren uns also selbst.
In Wahrheit ist die Kommunikation nämlich mehrdimensional digitalisiert: Börsenberichte in den Nachrichten werden teilweise vollautomatisch erstellt, anhand von Datenmengen, die wir gar nicht mehr erfassen können. Unsere Beiträge, Posts und Kommentare werden durch Algorithmen so gefiltert, dass wir nie sicher sein können, ob wir unsere Zielgruppen erreichen. Autoren erstellen ihre Werke mit Hilfe intelligenter Software, die einen ganzen Schreibstil ermittelt gleich Korrekturvorschläge in der Prosa macht. Unser digitaler Schatten ist inzwischen so scharf, dass er eher eine zweite Identität von uns ist, die wir gar nicht kennen. Das betrifft uns persönlich, aber auch Unternehmen, Verbände und Interessenvertretungen. Die Entscheidung, was andere über uns zu sehen und zu lesen bekommen, treffen wir immer seltener selbst, sondern überlassen es entmenschlichten Algorithmen.
Immer öfter hören wir es in Gesprächen und Diskussionen: „Corona ist nur der Brandbeschleuniger für unsere Probleme“. Das trifft auch auf die Kommunikation zu. Die fallenden Verkaufszahlen der klassischen Tages- und Wochenzeitungen sowie der altehrwürdigen deutschsprachigen Magazine sind ein Beleg dafür. Ihr Niedergang ist mit dem Ausweichen der Leser auf digitale Angebote alleine nicht begründbar, denn sonst würden die digitalen Abonnements viel stärker steigen, anstatt zu stagnieren. Es stimmt: viele Leser weichen auf alternative Blogs und Formate aus.
Doch sind bei näherer Betrachtung auch dort die Klick- und Verweilzahlen nicht ausreichend, um die Lücke zu schließen. Die Besuchszahlen der großen deutschen Nachrichtenplattformen haben inzwischen wieder Vor-Corona-Niveau erreicht. Es ist wie es ist: die Menschen lesen einfach weniger Nachrichten und informieren sich weniger frequent und weniger qualitativ. Das trifft nicht nur den privaten Informationsbedarf, sondern immer öfter auch professionelle Fachzeitschriften oder -Plattformen. Streaming-Dienste und Belletristik hingegen erfreuen sich nach wie vor immer größerer Beliebtheit. Kein Wunder: Sie erschlagen nicht mit Nachrichten, Werbung und Information, sondern vermitteln Gefühle, Emotionen und Stories – eine Flucht vor dem Informationswahnsinn?
Seien wir ehrlich: wer ist schon auf Twitter, insbesondere mit Klarnamen? Wer ließt noch die politischen Kommentare von Freunden auf Facebook? Wen interessieren die Posts von Börsen-Influencern auf Instagram? Warum also sollte jemand die Kommentare ernst nehmen, die von den PR-Profis kommen und auf die neuste Errungenschaft irgendeiner Interessensgruppe hinweisen? Es lässt sich nicht leugnen: Professionell geführte Social-Media-Kampagnen haben immer weniger Durschlagkraft, treffen immer weniger Menschen und erregen immer weniger öffentliches Interesse. Wer sich zum Beispiel mit den großen Playern auf Twitter vergleicht, hat es schlichtweg nicht verstanden: genauso wenig, wie wir alle Bundeskanzler werden können, können wir alle so viele Follower wie Elon Musk haben.
Die Generation-Z hat Facebook zu ziemlich dem uncoolsten erklärt, was es im Internet gerade gibt. Sie hat ein vollkommen anderes Internetverhalten, als „wir Alte“ – die Zeit wird zeigen, was das für die Zukunft bedeutet. Die jüngeren haben schon längst andere Plattformen für sich entdeckt. Die Sprache von Instagram ist nicht informativ, sie ist visuell, individuell und emotional. Snapchat und vergleichbare Plattformen sind anonymer und freundschaftlicher. Die echten digital natives sind gerade einmal höchstens Mitte Zwanzig. Doch selbst die Jungen geben an, dass es ihnen schwerfällt, sich im Informationsdschungel zurecht zu finden. Und – Überraschung: Die Generation Z wird auch mal älter und nimmt ihr Informationsverhalten dabei gleich mit. Während sich Werbung und Marketing skrupellos anpassen werden, müssen sich Interessenvertreter und die Verfechter von Newsrooms und all den „neuen“ Formaten schon mal etwas wirklich neues einfallen lassen, wenn sie nicht gleich ins digitale Altersheim wollen.
Der Biedermeier von heute ist also die Flucht vor dem Digital Overload von morgen. Die deutschsprachigen Medien haben verschlafen und bieten erst seit einigen Monaten vermehrt Informationen an, die sich hinter einer Paywall verbergen. Zu spät – reichhaltige und qualitative Informationen gab es nie umsonst, die Nachrichtenplattformen wollten es uns nur glauben machen. Nun sind wir mittelmäßigen und hochfrequenten Informationsgehalt schon gewohnt – warum sollten wir plötzlich dafür zahlen? Insbesondere im DACH-Raum sind Informationen so inflationär geworden, dass sie in einem weißen Rauschen aufgehen, anstatt wahrgenommen zu werden. Wir sollten stattdessen Informationsportale ganz neu denken.
Anstatt Nachrichten, die uns vom Boulevard bis hin zu Börsenhandel universell aber mit schlechter Qualität versorgen, werden wir dezidierte und qualitativ hochwertige Informationen beziehen wollen, wenn wir von ihnen unsere Entscheidungen abhängig machen sollen. Das werden auf absehbare Zeit weder Onlinezeitungen bieten können, noch die Sozialen Medien. Neue Plattformen müssen erdacht und erprobt werden: ein Hosting für selektive und qualitative Informationen, dass sich gleichermaßen dem Digital Overload, Popularisierung und Populismus entgegen stellt, wäre eine Idee.
Für das erste jedoch reicht es, wenn uns klar machen, dass die Zwanziger Jahre neue Fragen der Kommunikation an uns stellen. Wie gehen wir mit dem Information Overload um? Wie dringen wir mit unseren Informationen überhaupt noch durch? Guerilla-Methoden der Kommunikation mögen lustig sein, nerven aber auf Dauer jeden Rezipienten, an den sie durchdringen. SPAM ist nicht nur die schlüpfrige Meldung in unserem Postfach, sondern betrifft inzwischen die gesamte Bandbreite der Informationsweitergabe.
Ich erinnere mich noch gut an eine Briefaktion, die uns als Mitarbeiter im Bundestagsbüro erreichte: Beim Öffnen einer Grußkarte sprang ein mit einem Spanngummi aufgezogener Papierschmetterling hervor, der quer durchs Büro sauste - und so manchen beinahe einen Herzinfarkt bescherte. Anstatt aber, dass man sich den Absender gemerkt hätte, sprachen alle nur noch über den Papierschmetterling und wie sehr so eine Aktion doch nach hinten losgehen kann. So lange ist das nicht her – aber ins Heute übersetzt lassen sich viele Szenarien in dieser Art beobachten.
Die Generation Z macht es vor: Die Leute von Heute suchen sich ihre Informationen selbst, wollen speziellen Content und sind dabei überaus pluralistisch: gute Kommunikation ist nicht mehr der digitale Marktschreier, der alle gleichermaßen beschallt, sondern das digitale Schaufenster zu einer dezidiert informativen und vermutlich kostenpflichtigen Plattform, anhand derer Empfänger selbst entscheiden, ob sie das Geschäft betreten oder sich in der Ladenstraße weiter umsehen.