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Deprofessionalisierung durch Spezialisierung

Was man aus dem Overflow in der Kommunikation bei der Corona-Krise lernen kann  

06.06.2020: Die Nachrichten- und News-Maschinerie vieler Interessenvertreter läuft aktuell auf Hochtouren – mehr als sonst. Dabei wird es immer schwerer, Nachrichten auf Relevanz und Richtigkeit zu filtern. Je komplexer sie sind, desto schwieriger sind sie zu prüfen und nachzuvollziehen. Fehler passieren, vor allem in der Kommunikation. Müssen wir Netzwerk- und Informationstheorien überdenken?  

In der aktuellen Krise müssen alle umdenken, auch in der Kommunikation. Kommunikationsziele müssen auf den Prüfstand, neue Werkzeuge gefunden und erlernt werden und Stakeholder müssen rechtzeitig informiert werden. Das ist leichter gesagt als getan. Die Digitalisierung schlägt zurück: es ist schlichtweg unmöglich, alle Informationen und Nachrichten, die am Tag auf uns einprasseln, zu verarbeiten oder gar mitzubekommen. Das fängt bei ungelesenen Emails an und endet bei den abendlichen Nachrichtensendungen. Immer öfter ist seit der Corona-Pandemie von einer regelrechten Informationsüberflutung die Rede. Markenkommunikation wird immer schwerer, aber auch Interessenvertretungen, Kommunen und Regierung haben es immer schwerer durchzudringen. Kurzum: wir sind vom informativen Dauerfeuer kognitiv überlastet. Drucken Sie einmal alles aus, was sie bewusst ab dem Aufstehen bis zum Büro gelesen haben – Sie werden staunen.

Das Problem ist jedoch nicht neu. Bei hohen Arbeitsbelastungen und Phasen starker kommunikativer Workflows gehen Informationen oft unter oder werden auf später verschoben. Das geht jedem so und ist ein ganz natürlicher Prozess. Eigentlich werden wir ab dem Aufstehen morgens von Informationen und Mitteilungen nicht-zwischenmenschlicher Art geradezu heimgesucht. Der Blick aufs Smartphone, die favorisierte Nachrichtenseite oder den Lieblingsblog, in die morgendlichen Nachrichtensendungen oder – wer noch hat – in die Zeitung versorgt uns mit unzähligen Mitteilungen, Artikeln, Chats, Bildern und Videos. Auf dem Weg zur Arbeit sind Fahrpläne oder der Berufsverkehr zu beachten, auch währenddessen lassen wir uns von Informationen aller Art berieseln. Kommen nun aber wochenlang schlechte Nachrichten dazu ist die kognitive Belastung auf Dauer zu hoch und der Stresslevel steigt bereits, bevor man überhaupt am Arbeitsplatz angekommen ist.  

 

Das Problem der informativen Overflows ist vor allem in der Kommunikation mit der Digitalisierung immer akuter geworden.   

Soweit so gut, wir sind meistens in der Lage all das auf relevant oder nicht relevant zu filtern und fühlen uns sogar in der Krise bestens unterhalten. Nicht selten jedoch gehen uns maßgebliche Informationen abhanden und wir schätzen Situationen anders ein, als sie eigentlich sind. Das macht anfällig für Polarisierung, Popularisierung, Manipulation und Fake-News. Das Problem der informativen Overflows ist vor allem in der Kommunikation mit der Digitalisierung immer akuter geworden. Von Niklas Luhmann bis hin zu Howard Rheingold werden humanes Kapital und soziale Netzwerke auf Leistungsfähigkeit und Nutzen für die Gesellschaft beschrieben. Vom digitalen Dorf hin zur weltweiten Schwarmintelligenz: die Nutzung von spezialisierten und individualisiertem Expertenwissen eröffnet ungeahntes Potenzial und raschen Wissensaustausch. Die Digitalisierung ermöglicht uns den Zugang in die Gedankenwelt von Experten, die wir noch vor 20 Jahren gar nicht als solche wahrnehmen konnten. Dabei soll uns automatisierte und digitale Moderation helfen und dem Informationsoverflow Herr zu werden. Der Kniff dabei ist aber: so einfach ist es nicht.  

 

Wie hat Elon Musk das geschafft?  

Ein Beispiel: Elon Musk vollbringt mit SpaceX etwas, was weltweit keine Raumfahrbehörde und kein Institut zustande bringt – die kommerzielle Entwicklung und Nutzung flugfähiger und verlässlicher Raketen und Raumfahrzeuge. Wie hat er das geschafft? Das Unternehmen hat mit großen Investitionen, Rückschlägen und langwierigen Lernprozessen Know-How aufgebaut und das in einer Branche, die seit 70 Jahren besteht und unzählige Publikationen, Studien, Paper und Berichte zu Tage gefördert hat. Eigentlich müsste es ja ein Leichtes sein, Raketen zu bauen.

Und hier ist das Problem: in diesem Dickicht von Daten zu sondieren (Stichwort: „publish or perish“) , auszuwählen und damit zu arbeiten bindet Ressourcen, also Zeit, Personal und Geld. Beides haben staatliche oder wissenschaftliche Institute aber nur selten. Aber auch die Vermittlung von Expertenwissen ist ein enormes Problem, das viele Akteure haben: Ein Experte wird mit der Entwicklung einer Komponente beauftragt. Sein Supervisor prüft und muss sich gleichzeitig darauf verlassen können, dass das eingebrachte Expertenwissen seine Richtigkeit hat. Eine fachliche Spiegelung ist ehrlicherweise kaum möglich, denn Vorgesetzte müssen mehrere Kollegen führen und diverse Aufgaben überblicken. Das geht nur durch einen kognitiven Filter.

Je komplexer und zahlreicher die Aufgaben sind, desto schwieriger wird es ein Gesamtbild aufzubauen, das eine einzelne Entscheidungsperson erkennen und auch darstellen kann. Man hat es also rundum mit Experten zu tun, die ihre Arbeit machen. Je spezialisierter die Arbeit der Einzelnen ist, desto schwieriger wird es für die anderen einander zu verstehen. Jeder ist dann eben Experte auf seinem Gebiet und vertraut zwangsläufig auf die Kompetenz des anderen oder aber ignoriert sie, weil man genug eigene Sorgen hat. Der Supervisor kann nicht Experte auf allen Gebieten sein und wird zwangsläufig Fehler oder Ineffizienz übersehen oder sogar selbst generieren. Man ist schlichtweg kognitiv nicht in der Lage, alles zu überblicken.

Das ist in der Kommunikation letztendlich fatal: Eine Pressemeldung zum Start einer Rakete schreibt sich leichter als zur Produktentwicklung einer neuen Komponente. Darum ist eine Weltraumrakete ein hervorragendes Beispiel, was passiert, wenn der Informationsoverflow gravierende Versäumnisse mit sich führt. Bei so einer empfindlichen und komplexen Technik sind Fehler, oder deren Ergebnisse, als heißer Feuerregen stets gute Hinweise auf irgendeinen Nachbesserungsbedarf.  

 

Das Problem der Spezialisierung trifft Kommunikatoren besonders hart.

In der Kommunikation sind negative Abläufe nur selten derart offensichtlich und der nächste Shitstorm kommt bestimmt, auch ohne, dass man Fehler gemacht hat. Die Kunst in der Kommunikation liegt darin, Komplexität so zu bearbeiten und zu reduzieren, dass die richtige Nachricht beim richtigen Empfänger ankommt und verstanden wird. Kritisch wird das jedoch, wenn essenzielle Informationen verlorengehen. Das kann verschiedene Gründe haben: etwas wird nur schnell angelesen und nicht richtig verstanden, im Stress nur oberflächlich bearbeitet oder gleich an jemand anderen delegiert, der sich in das Thema einarbeiten muss.

Das Problem der Spezialisierung trifft Kommunikatoren besonders hart: als Allrounder müssen sie systemisch immer versuchen, alles im Blick zu behalten, empathisch auf die Bedürfnisse anderer eingehen und geduldig auch Rückschläge hinnehmen müssen. Sich beispielsweise in komplexe Fragen am Finanzmarkt einzuarbeiten und die Folgen der eigenen Branche abzuschätzen ist die Aufgabe der Geschäftsführung und dauert mitunter Monate. Die Ergebnisse verständlich in einen Verbandsnewsletter zu implementieren kann eigentlich nur schief gehen, wenn der Autor nicht den Duktus von Empfänger und Sender beherrscht. Dazu muss man sich einarbeiten und trotzdem bleibt es notwendig, dem Expertenwissen in gewisser Weise blind zu vertrauen. Aktuell befinden sich jedoch weltweit die Mehrheit der Unternehmen, Institutionen oder Interessenvertretungen im kommunikativen Ausnahmezustand. Das Phänomen des Information Overflows verstärkt sich. Viele Kommunikatoren stehen nun vor der Herausforderung Botschaften zu entwickeln und im informativen Dauerfeuer irgendwie an die Rezipienten heranzukommen – teilweise mit regelrechten Guerillamethoden der Kommunikation.  

 

Kommunikative Ressourcen abwägen, auf allen Seiten.  

Es gilt abzuwägen, welche Information wichtig ist und ob das dazu gewählte Kommunikationswerkzeug lohnend ist. Sprich: Wer ein YouTube-Video für mehrere Hundert oder Tausend Euro produziert, aber nicht einmal hundert Klicks bekommt, hat sein Geld verschwendet. Dennoch geschieht das sehr häufig. Das Video ist in der Flut zwischen Katzenvideos und Beauty-Tipps untergegangen. Noch schlimmer wird es, wenn Viewer aus der Branche es sehen und mailen: „Warum erzählt ihr so einen undifferenzierten Quatsch?“. Die Idee der Schwarmintelligenz verleitet in der Kommunikation zu merkwürdigsten Stilblüten. Viel zu oft werden Informationen von Nachrichtendienstleistern gekauft und zahlreiche News-Websites verbreiten ein und die gleiche Meldung. Zeit sie zu prüfen bleibt im harten Geschäft des Onlinejournalismus nur selten. Nicht umsonst erstellen einige Plattformen Meldungen zu den Finanzmärkten inzwischen automatisiert, ohne dass ein Redakteur sie geschrieben hätte. Blindes Vertrauen auf Technik und fremdes Expertenwissen sind im Zeichen der knappen Zeit geboten, haben aber oftmals Folgen. Fehler passieren: aus Zahlendrehern werden schnell falsche Prognosen für das Marktgeschehen. Der Vorwurf von Fake-News wiegt immer schwer und trifft jeden Kommunikator in seinem oder ihrem Ethos.

Es gilt aus der Corona-Krise zu lernen: Der kommunikative Overflow in Verbindung mit der fortschreitenden Spezialisierung macht es Kommunikatoren immer schwerer, anständige Arbeit zu leisten. Statt hastig und banalisiert jedes Thema zu Twittern oder zu kommentieren gilt es, Ressourcen abzuwägen – sowohl die der Empfänger als auch der Sender der Information. Wahrnehmung um jeden Preis können sich Regierungen oder Weltkonzerne erlauben, nicht aber normale Akteure. Expertenwissen zu kommunizieren braucht viel interne, geduldige Abstimmung und Verständnis auf allen Seiten. In Zukunft wird es notwendig sein, wieder mehr Zeit für Recherchen und Prüfungen aufzuwenden, was besonders für Akteure mit wenig Geld und wenig Zeit eine Herausforderung werden wird. Die übliche Ad-hoc-Kommunikation muss wieder als solche wahrgenommen werden, ohne zum Beispiel Redakteure mit einer seitenlangen Pressemeldung zu den neuen Corona-Hilfen für Unternehmen in der Herstellung von veganen Bartbürstchen zur Verzweiflung zu bringen – das Ergebnis ist nur zu oft eine gekürzte Überschrift oder gestrichene Absätze, was den Unmut in der Geschäftsführung der Ersteller der Meldung gerne mal hervorruft. Statt dessen wäre das gute alte Klinkenputzen bei den Redakteuren oftmals lohnen.

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