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Die Coronakrise ist eine Kommunikationskrise – Teil 3

Von Adrian H. Messe

29.01.2021: Eine Rekapitulation der staatlichen Krisenkommunikation des ersten Corona-Jahres fällt durchweg negativ aus. Interessenvertretungen üben deutschlandweit harte, aber berechtigte Kritik – es gibt nichts schönzureden. Doch verstellen Krise und Kritik gleichermaßen den Blick auf mittel- und langfristige Veränderungen. Denn wo Schatten ist, ist auch Licht: Zeit nach vorne zu blicken. Willkommen in der Kommunikation der 20er Jahre.

 

Krisenkommunikation im Lockdown – Zeit für eine erste Evaluation

Alle Branchen sind betroffen. Prominente Beispiele sind die Gastronomie und Hotellerie. Die Interessenvertretungen haben hier von außen betrachtet sehr gute kommunikative Arbeit geleistet. Knapp 50 Pressemitteilungen wurden bis heute in Sachen Pandemie vom DEHOGA veröffentlicht. Hinzu kommen unzählige Interviews, Stellungnahmen, Twitter Meldungen und Beiträge. Der Verband nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, doch verfallen die Verantwortlichen auch nicht in Panik – auch wenn die Lage der Betroffenen dazu Anlass geben könnte.1

Bundesweit kämpfen wie der DEHOGA gerade hunderte Verbände für die Interessen ihrer Mitglieder in einem Umfeld, was das Potenzial zur größten Wirtschaftskrise der Moderne hat. Eine Analyse ihrer gesamten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist kaum möglich, sondern wird nach Sektoren geordnet erfolgen müssen. Es ist genug Stoff für mehrere Generationen von Kommunikationswissenschaftlern. Doch die Arbeit könnte sich durchaus lohnen, denn wie unter einem Brennglas lassen sich nicht nur die Verstetigung des Einsatzes von digitalen Kommunikationsmedien beobachten, sondern vor allem verbandsmäßiges Agenda Setting in einem höchst volatilen politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Ganz konkret: Eine schnelle und qualitative Evaluation dieser Kommunikationsmechanismen ist zwingend erforderlich, wenn daraus gelernt werden soll. Doch wird eine solche Aufarbeitung auf Dauer die Branche revolutionieren: Pressevertreter der Interessenvertretungen werden an Rang und Durchsetzungskraft dauerhaft gewinnen, wenn die Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Arbeit auch im kommunikationswissenschaftlichen Bereich an Bedeutung gewinnen.

 

Die Spreu vom Weizen Trennen – Brancheninformationen mit Tiefe werden wichtiger

Das Problem ist aber: Sich in aktuell einen qualitativen Überblick über die Kommunikation im DACH-Raum zu verschaffen ist momentan noch schwierig bis unmöglich. Eine quantitative Untersuchung ist – mit einer entsprechenden Skalierung und mit der Hilfe geschickter Programmierer – viel eher umsetzbar. Absehbar ist schon jetzt: Die Frequenz und Bandbreite der Kommunikation von Verbandsseite und Interessenkommunikation haben sich deutlich erhöht, beinahe kongruent zu den kommunikativen Höhepunkten der Bundesregierung und übrigen Stakeholder der Corona-Kommunikation. Der diesbezügliche Digital Overload ist schon jetzt zwingend einer der größten Herausforderungen dieser Kommunikations-Revolution: wer blickt bei allen offenen Briefen, Stellungnahmen und Blogartikeln denn noch durch?

Verheerend ist dazu auch die Entwicklung bei den Nachrichtenportalen: Zahlreiche Redaktionen sind im Krisenmodus. Personal wird gestrichen, Abteilungen zusammengelegt, Formate eingestellt. Die Spätfolgen der Krise werden die Presse besonders hart treffen. Bis Förderungen, Hilfen oder Reformen beschlossen und angelaufen sind, werden nicht wenige Zeitungen und Portale für immer verschwinden.

Der Veröffentlichungsdruck ist also noch größer geworden. Das schlägt sich in einer Unzahl von Schlagzeilen, Kurzmeldungen, Fortsetzungsartikeln oder Teasern nieder. Es geht um Klickzahlen, gleichzeitig sollen neue Abonnenten geworben werden. Für die Qualität der Meldungen bedeutet das abermals eine erhöhte Frequenz mit einer höheren Bandbreite, jedoch geringeren Informationstiefe und weniger Recherchearbeiten. Entscheider müssen sich nach anderen Formaten umsehen, die zusammenfassend, also auf Metaebene, Informationen von Relevanz von der Spreu trennen. Auch werden Interessenvertretungen mit tiefen, fachgerechten und vor allem lesbaren Kommunikationsmitteln ebenfalls immer öfter direkt angesprochen und gelesen werden, als Presseformate als ehemalige Mittler und Drehkreuze der Information. Kurzum: die Leser werden mehr selbst arbeiten müssen, um branchenrelevante Informationen zu erhalten. Als Rezipient aber kann man sich schon freuen: Digitale Kampagnen werden in Zukunft nicht nur wichtiger, sondern deutlich professioneller und zielgerichteter.

 

Dienstleistung, die begeistert: Zwischen KI und Knowhow

Den Wust an Information zu durchblicken wird in Zukunft eine noch wichtigere Dienstleistung werden. Dafür werden auch Interessenvertretungen Geld in die Hand nehmen müssen, Schulungen absolvieren und solche Leistungen buchen müssen. Es werden auch neue Anbieter auf den Markt drängen, die entsprechende Kommunikationsmechanismen und Informationsportale anbieten.

Schon jetzt ist eine sinnvolle Markenkommunikation ohne die Begleitung durch ein mächtiges Analysewerkzeug kaum vorstellbar, obwohl die meisten Kampagnen im DACH-Bereich noch vollkommen ohne die Aufbereitung von Makro- und Mikrodaten durch Agenturen und Dienstleister auskommen (oder sich das zumindest einbilden).

Die KI übernimmt immer mehr Aufgaben. Es passiert bereits in einem größeren Umfang, als wir vielleicht glauben. Mit der neuen Software, genannt GPT-3 (Generative Pre-trained Transformer 3) ist seit Sommer 2020 ein Programm auf den Markt gekommen, dass in seiner künftigen Entwicklung das Potenzial hat, die Menschheitsgeschichte gehörig umzukrempeln. Was ist geschehen? Es handelt sich um ein sogenanntes „Autoaggressives Sprachenmodel“. Das bedeutet, dass es sich um einen selbstlernenden Algorithmus handelt, der Neuronale Netze anwendet und als Web Crawler das gesamte Internet als sein zu Hause betrachtet, aus dem er lernen kann, Sprache zu verstehen und im Kontext anzuwenden. Im englischen Nachrichtenportal „The Guardian“ wurde das Programm GPT-3 aufgefordert, eigenständig einen kleinen Essay über künstliche Intelligenz zu schreiben. Das Ergebnis spricht für sich. Das Programm simuliert sogar ein abstraktes Selbstverständnis von sich selbst, in dem es über sich schreibt: „ich habe kein Selbstverständnis“. Der Aufsatz ist besser als so mancher Blogartikel.

Das ist neu und aufregend, denn die Anwendungen dafür sind unvorstellbar vielfältig. Denkt man das Ganze rückwärts wird es auch für die Informationsaufbereitung spannend. Wird ein Nachfolger von GPT-3 irgendwann in den kommenden Jahren damit beauftragt die Datenflut an Meldungen und Informationen qualitativ und kontextualisch zu sichten, könnte das den Durchbruch für die direkte Informationsweitergabe durch Interessenvertretungen werden: Informationen direkt von der Quelle, als von unzähligen Nachrichtenportalen zusammenklamusert.

 

Fazit: Goldene 20er Jahre der Kommunikatoren und Pressesprecher

Wir sollten einsehen: Spätestens mit der Pandemie sind wir im 21. Jahrhundert angekommen – und dieses bringt nicht weniger als den Aufbruch in eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte mit sich. Das bedeutet auch bahnbrechende Entwicklungen im Internet der Dinge und bei der Nutzung von Kommunikation: Schnellere Informationsgewinnung für alle, mit mehr Auswahl und Anspruch.  Zwangsläufig werden also qualitative mediale Aufarbeitungen weiter an Bedeutung gewinnen. Branchenknowhow als direkte Quellen gibt es meistens nur bei Interessenvertretungen, wenn mehr erwartet wird als der neueste Stand universitärer Studien und Forschungen.

Gleichermaßen werden diejenigen Interessenvertretungen am besten abschneiden, welche die Revolution der digitalen Kommunikation verstehen und wissen, wie sie sich darin bewegen sollen. Interaktive und partizipative Kommunikation wird nicht ausreichen. Auch goldene Regeln, welche an Einfachheit und Zielgebundenheit von Pressemitteilungen oder Meldungen appellieren, sind Schnee von gestern. Es werden nicht nur digitale Strategien in der Kommunikation gebraucht, sondern auch tiefes und fachbezogenes Wissen, wie KI und Informationsaufbereitung funktionieren. Wer all dieses beherrscht – und das ist möglich – wird die digitale Revolution in der Kommunikation als das Erleben was sie ist: Der größte Durchbruch, seit die erste Zeitung auf Papier gedruckt wurde.

 

Weiterführende Links und Quellen:

  1. Online Präsenz von DEHOGA: https://www.dehoga-bundesverband.de/presse-news/pressemitteilungen/ 
  2. The Guardian: A robot wrote this entire article. Are you scared yet, human? In: https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/sep/08/robot-wrote-this-article-gpt-3

 

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