Bild: Pexels, Branimir Balogović
05.04.2020
Was der Staat hätte tun sollen, machen nun die Lobbyisten: Informieren was das Zeug hält. Jeder Verband, jede Kammer und jede Vereinigung veröffentlichen aktuell ein Statement nach dem anderen, um Unternehmern und Betrieben in der Corona-Krise zu helfen über die Runden zu kommen. Geht das auf Dauer gut?
So gut wie alle Branchen in Deutschland schlagen Alarm. Vom Handwerker, über Gastronomen bis hin zu Mega-Konzernen: alle sind von der Wirtschaftskrise betroffen. Nicht wenige sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Kritiker meinen: „Wenn ein Familienbetrieb keine drei Monate überstehen kann, hat er schlecht gewirtschaftet.“ Das ist viel zu kurz gegriffen. Viele Betriebe leben von der Hand in den Mund und das seit Jahrzehnten. Liquide Rücklagen über mehrere Hunderttausend Euro, gar in Millionenhöhe zu bilden, um Gehälter zu zahlen: ein Witz. Wer sich mit Negativzinsen konfrontiert sieht investiert sein Geld am Finanzmarkt. Die Folgen der letzten Wochen sind bekannt. Wer als Privatperson mehrere Zehntausend Euro in seinen Angesparten verloren hat, darf nun gerne groß denken und überlegen, was das für einen mittleren Unternehmer bedeuten mag.
Millionen Menschen in Deutschland sind jetzt darauf angewiesen, dass Betrieben und Unternehmen geholfen wird die Krise zu überstehen – schließlich sind wir eine soziale Marktwirtschaft. Und hier schlägt der Föderalismus abermals mit der ganzen Härte der Realität zurück: mit 16 verschiedenen Regelungen, Hilfspaketen und Sonderetats ist nur die Spitze des Eisbergs überschaubar. Die Bundesregierung pumpt enorme Summen in den Finanzmarkt und schnürt ganze Paletten von Hilfsleistungen. Das ist gut so. Schlecht ist: die Förderlandschaft in Deutschland hat schon vorher so gut wie niemand überblickt. In dieses Dickicht von Förderungen und Kreditmöglichkeiten frisch geschnürte Hilfspakete und -Maßnahmen zu werfen führt vor allem zu einem: statt diese Pakete aufzuschnüren verwandelt sich das ganze schnell in einen Gordischen Knoten. Die Lösung, so ein Knäuel zu entwirren, ist bekannt.
Es fängt bei den Kommunen an, geht über den Handwerker als Einzelkämpfer und hört beim traditionsreichen Familienunternehmen auf: Die Zeit des großen Knapsens ist schon da. Ohne gute Beratung weiß niemand so recht, was der Gesetzgeber an Förder- und Hilfsmöglichkeiten alles vorsieht. Die Angebote sind zwar da: Sofortliquiditätshilfen von diversen Institutionen sind geschnürt. Sind die Gelder aber ausreichend? Viele Unternehmer können das eindeutig verneinen. Es geht also für viele um alles oder nichts.
Die Stärke des Klein-Kleins der deutschen Wirtschaft kommt jetzt zum Tragen. Verbände, Kammern und Interessenvereinigungen tun nun das, was der Staat hätte tun sollen: Informieren, wo wer welche Gelder bekommt und welche Möglichkeiten mittelfristig bestehen. Auf Unternehmer und Selbständige kommen nun in den nächsten Monaten ganze Aktenberge zu, die es auszufüllen gilt. Das kann nur jemand durchschauen, der sich in seiner eigenen Branche und der seiner Mitglieder auskennt.
Auf Dauer geht das aber nicht gut – das Vertrauen der Wirtschaft in den Staat ist unerlässlich, um aus der Krise zu kommen. Vertrauen schafft der Staat aber nur, wenn er Kompetenz, Verständnis und Branchenkenntnisse unter Beweis stellt. Ordnungsrechtlich ist das durchaus problematisch: Der Staat hat ein Umfeld geschaffen, das er selbst nicht mehr überblickt. Kammern reichen schon längst nicht mehr aus. Der Wissenstransfer von Unternehmen hin zum Staat ist durch die Ministerien alleine nicht mehr zu stemmen und war es vielleicht auch nie. Gesetzgebung und Exekutive sind darauf angewiesen, dass die Branchen ihr Knowhow einbringen und standhaft vertreten. Richtig ist aber auch: es kann schnell zu Ungleichgewichten kommen: jede Lobby ist anders aufgestellt, die einen stärker, die anderen schwächer.
„Systemrelevante“ Berufe, wie aktuell in aller Munde, haben offenbar Nachholbedarf wenn es um die Vertretung ihrer Standpunkte im Hohen Haus in Berlin geht. Der Staat reagiert auf die Corona-Krise mit großen Schritten in Richtung Zentralisierung. Die jetzt geschaffenen Mechanismen beschränken sich keinesfalls auf die Krisenbewältigung. Es geht um die Überlegung, die soziale Marktwirtschaft neu zu ordnen. Die Schuhe passen aber nicht und die Schnürsenkel sind auch noch offen: Das gesamte System der Kammern und Interessenvertretungen in Deutschland ist föderalistisch, subsidiär und fachspezifisch aufgestellt.
In den nächsten Wochen, Monaten und Jahren liegt es an den Interessenvertretern, zu zeigen, wer die Profis sind: diejenigen die direkt mit den Unternehmen arbeiten oder jene, die aus Berlin ein neues Förder- und Steuerregime einführen wollen. Steigt der Mittelstand wie der Phönix aus der Asche aus der Krise empor, oder verkümmert er zur lahmen Ente Europas? Die Interessenvertreter haben es in der Hand – wenn der Staat ihnen zuhört.
Hauptstrasse 185, 71642 Ludwigsburg